Der Velebit-Komplex

    Im Februar 1959 trafen sich in Klagenfurt/Celovec drei Dutzend in Kärnten/Koroška ansässiger Kroaten [1] um hier eine Zweigstelle des Vereins Velebit einzurichten. Dieser Verein war einer der ersten Versuche der Organisation ehemaliger Ustaša-Anhänger in Österreich. In diesem Artikel soll auf die Geschichte dieses Vereines eingegangen werden und anhand dieses Beispiels der Umgang der österreichischen Behörden mit diesen Bestrebungen, zwischen Duldung und Untersagung, gezeigt werden.

    Vereinsstempel (Quelle: Östa/AdR BMI 28.824-2B/60)

    Betrachtet man die Migration aus dem heutigen Kroatien nach Österreich, können verschiedene Phasen unterschieden werden: zwischen 1945 und den späten 1950ern war die Gruppe der kroatischen Zuwander_innen von politischen Flüchtlingen dominiert, bevor 1961 die Anwerbung von Arbeitskräften in Jugoslawien begann. Während die ersten politischen Emigrant_innen Angehörige der militärischen und politischen Elite des NDH-Staates waren, setzte mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich 1955 eine weitere Auswanderungswelle von politischen Gegner_innen des sozialistischen Jugoslawien ein.[2] Bis 1955 tolerierte die britische Besatzungsmacht in Kärnten/Koroška und der Steiermark/Štajerska zwar Grenzübertritte aus Jugoslawien, die sowjetische Besatzungsmacht im Osten Österreichs übergab allerdings politische Flüchtlinge ausnahmslos an ihre Herkunftsländer.[3]  Es blieb jedoch nur ein kleiner Teil der Flüchtigen aus Jugoslawien in Österreich, während der Großteil weiter nach Deutschland oder Übersee reiste.[4]

    Wenig überraschend gingen erste Organisationsprozesse der kroatischen Diaspora in Österreich von ehemaligen Ustašen und Anhänger_innen der bürgerlichen Parteien des Königreichs Jugoslawien aus. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für diese Migrant_innen war die katholische Kirche und Organisationen der Burgenlandkroatischen Volksgruppe.[5] Vielfach war ein Umsturz in Jugoslawien und die kroatische Unabhängigkeit ein Ziel dieser Organisation, was, vor allem nach Interventionen seitens Jugoslawiens, ein Grund für die österreichischen Behörden war, gegen die so entstandenen Vereine vorzugehen.[6] Im Gegensatz dazu waren die von den Arbeitsmigrant_innen ab den 1960ern gegründeten Vereine dezidiert multiethnisch und wurden institutionell auch von den jugoslawischen Auslandsvertretungen unterstützt.[7]

    Stempel der "Kroatischen Abwehr" (Quelle: Östa/AdR BMI 135.299-2B/58)

    Entstehung des Vereins Velebit

    Einer dieser ersten Vereine war der Verein „Velebit“ [8]. Der Name dieses Vereins ist wie so oft im Kontext des politisch aktiven Teils der kroatischen Diaspora mehrdeutig: Einerseits ist „Velebit“ die Bezeichnung eines Gebirgszuges in Kroatien, andererseits wird eine der ersten Aktionen der Ustaša, ein Angriff auf die Polizeistation in Brusani im Herbst 1932, als „Velebit-Aufstand“ bezeichnet.[9] Auch die österreichische Staatspolizei verweist in späteren Erhebungen auf die Bedeutung des Begriffs „Velebit“ für die Ustaša.[10]

    Die Wurzeln des Vereins Velebit reichen in das Jahr 1957, als eine Gruppe um Anton Radmann die Gründung eines Vereins mit dem Namen „Kroatische Vereinigung Kardinal Stepinac“ anzeigt. Aufgrund des Namens des Vereins untersagte die Sicherheitsdirektion Wien die Gründung des Vereins.[11] Kardinal Stepinac wirkte während der Ustaša-Herrschaft als Erzbischof von Zagreb und ist wegen seiner Rolle im NDH-Regime bis heute umstritten. Doch bereits zwei Monate nach der Untersagung zeigte die gleiche Gruppe die Bildung des Vereins „Velebit“ bei den Behörden an.[12] Als erster Obmann wurde der in Mostar geborene Arzt und SPÖ-Politiker Richard Pacher gewählt.[13] Ein Jahr später ging bei der Wiener Polizei ein anonymer Brief ein, der vor der Übernahme des Vereins durch „eine Bande ehemaliger Ustascha“ warnte. Tatsächlich wurde bei der Generalversammlung 1958 Pacher abgewählt und durch Zvonimir Gjukez ersetzt. Drahtzieher der Übernahme soll laut Erhebungen der Staatspolizei Franjo Vedrina gewesen sein. Vedrina war nach eigenen Angaben Direktor der kroatischen Staatsdruckerei in der Zeit des Ustaša-Staates NDH, wurde 1945 zum Tode verurteilt und später begnadigt.[14]

    Der Religionslehrer Radman wird zu dieser Zeit von den Behörden verdächtigt, einer „illegalen politischen Vereinigung“ rund um den Pavelić-Vertrauten Branko Jelić (Link) anzugehören, ein Informant der Staatspolizei findet bei ihm einen Stempel mit der Aufschrift „Kroatische Abwehr – Operationsabschnitt 902 – Wien - Austria“ der auch dieser Organisation zugerechnet wird.[15] Nach einer Sabotage an einem Fahrzeug der jugoslawischen Botschaft im Herbst 1958 wird Radman als Verdächtiger ausgeforscht.[16] Schließlich wird Radman im Jänner 1959 wegen des Vorwurfs der Erpressung, Vergehen nach dem Sprengstoffgesetz und Geheimbündelei festgenommen und in Untersuchungshaft genommen.[17] Über den Ausgang des Prozesses ist aus den vorliegenden Akten nichts bekannt.

    Auszug aus der Teilnehmerliste des Treffens am 22.2.1959 in Klagenfurt/Celovec (Quelle: Östa/AdR BMI 43.361-2B/59)

    Ustaša-Treffen in Klagenfurt/Celovec

    Am 22. Feber 1959 treffen sich in Klagenfurt 32 Personen aus der exilkroatischen Szene in Kärnten/Koroška. Das Treffen wurde vom ehemaligen Leutnant Ante Mirkut einberufen, die Staatspolizei konnte dabei zehn ehemalige Angehörige der Ustaša und fünf ehemalige Angehörige von SS-Divisionen namentlich identifizieren. Aus Oberösterreich ist der „bekannte Kroatenführer“ Josef Vlaho angereist. [18] Vlaho wirbt bei diesem Treffen für die Einrichtung einer Zweigstelle des Vereins Velebit in Klagenfurt/Celovec, nachdem bereits Zweigstellen in Linz und Salzburg gegründet wurden. Nach Vlahos Ausführungen wird die Einrichtung eines Arbeitskomitees zur Vorbereitung von „Unabhängigkeitsfeiern“ am 10. April - gemeint ist die Ausrufung des fasischtischen NDH-Staates am 10. April 1941 (Link) - und die Einhebung eines Monatsbeitrages für die Finanzierung dieser beschlossen. Als Kassier dieses Komitees wird Ilija Abramović, späterer Funktionär des Bleiburger Ehrenzugs und Eigentümer der Grundstücke am Loibacher Feld gewählt.[19]

    Obwohl Mirkut vor dem Treffen von den Behörden ermahnt wurde, sich nicht politisch zu betätigen, ruft er in seiner Rede zum Kampf für die „Heimat Kroatien“ auf und beendet seine Rede mit dem Ustaša-Gruß „Za Dom spremni“. Nach einer kurzen Diskussion verliest Mirkut noch einen Brief des Führers (Poglavnik) des faschistischen NDH-Staates Ante Pavelić, der sich aus dessen südamerikanischen Exil für den „Besuch der Heldengräber in Bleiburg“ bedankt und verteilt Informationsmaterial der von Pavelić gegründeten „Kroatischen Befreiungsbewegung“ (Hrvatski oslobodilački pokret, HOP).[20]

    Zur geplanten großen „Unabhängigkeitsfeier“ kommt es in diesem Jahr allerdings nicht, die Behörden laden die Mitglieder des am 22. Feber gewählten Komitees vor und belehren sie, dass keine politische Betätigung von kroatischen Flüchtlingen geduldet wird, sondern nur „Veranstaltungen rein religiöser oder geselliger Natur“. Angepasst an die Vorgaben finden am 11. April 1959 in Klagenfurt/Celovec morgens nur muslimische „Religionsübungen“ und eine Tanzveranstaltung am Abend statt.[21] Gleichzeitig organisiert der aus Oberösterreich angereiste Josef Vlaho in Asten, wo sich eine Unterkunft für geflüchtete Kroat_innen befindet, eine Feier, bei der eine Rede von Pavelić abgespielt und die Fahne des NDH-Staates gehisst wurde.[22]

    Reaktion der österreichischen Behörden

    Bereits Ende April wird wegen der Versammlung in Klagenfurt/Celovec gegen Ante Mirkut ein Aufenthaltsverbot für das gesamte österreichische Bundesgebiet erlassen.[23] Sein weiteres Schicksal konnte aus den uns vorliegenden Akten leider nicht rekonstruiert werden. Neben fremdenpolizeilichen Maßnahmen beginnen bald Diskussionen über die Auflösung des Vereins Velebit. Während sich die Bundespolizeidirektion Wien gegen eine Auflösung des Vereins ausspricht, weil dadurch die Überwachung der exilkroatischen Szene erschwert würde,[24] fordert das Bundeskanzleramt[25] mit Blick auf die Beziehungen zu Jugoslawien und auf Artikel 9 des Österreichischen Staatsvertrages von 1955, den Verein aufzulösen.[26] Artikel 9 des Österreichischen Staatsvertrags verpflichtet Österreich „alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen, die auf seinem Gebiete bestehen“.[27] Im Juli 1959 löst die Sicherheitsdirektion für Wien schließlich den Verein mit der Begründung, seinen statutengemäßen Wirkungskreis überschritten zu haben und eine Gefahr für Österreichs Staatsinteressen darzustellen, auf.[28]

    Gegen diesen Bescheid geht der Verein in Berufung, im Oktober 1960 wird er vom Verfassungsgerichtshof wegen Verfahrensmängeln im Auflösungsverfahren aufgehoben.[29] Nach dem Entscheid des VfGH wird es in den Akten der Sicherheitsbehörden leise um den Verein. Im Juli 1963 ist der Verein Thema in einem Aide-mémoire der jugoslawischen Botschaft[30], im Juni 1964 wird von den österreichischen Behörden eine Tätigkeit des Vereins im Flüchtlingslager Traiskirchen befürchtet.[31] Bereits ein Jahr später wird allerdings berichtet, dass der Verein kaum mehr in Erscheinung tritt und auch die Vorstandsmitglieder keinen Kontakt mehr zueinander hätten.[32]

    Im April 1967 wird der Verein nach zehnjährigem Bestehen von den Behörden wegen mangelnder Vereinstätigkeit aufgelöst. Dem Bescheid erwächst im selben Jahr Rechtskraft und der Verein wird Ende Juni 1967 aus dem Vereinsregister gelöscht.[33] Ein Teil der Mitglieder des Vereins ist vermutlich Richtung Deutschland, Lateinamerika und Australien ausgewandert.[34]

    Fazit

    Damit endet zwar die Ära des Vereins „Velebit“, personelle Überschneidungen zwischen dem Verein Velebit und dem Bleiburger Ehrenzug, wie das Beispiel des Funktionärs Ilja Abramović zeigen, dass es trotz behördlicher Versuche, eine Organisation ehemaliger Ustašen in Österreich zu verhindern, gelang, hier Strukturen aufzubauen. In Salzburg (Link) und Kärnten/Koroška (Link) bestehen Vereinigungen ehemaliger Ustaša bis heute, letztere ermöglichen das Ustaša-Treffen in Bleiburg/Pliberk.

    Hinweis: Dieser Text zieht als wesentliche Quelle Akten der österreichischen Staatspolizei heran und ist aus dieser Perspektive zu lesen.

    Quellen

    [1] Hier wird der Terminus der österreichischen Behörden verwendet. Aufgrund der uns vorliegenden Akten des Innenministeriums kann davon ausgegangen werden, dass an dieser Versammlung ausschließlich Männer* teilnahmen.

    [2] Harald Waldrauch, Karin Sohler: Migrantenorganisationen in der Großstadt. Entstehung, Strukturen und Aktivitäten am Beispiel Wien. Frankfurt/New York , 2004: 179-180

    [3] Eugène Richard Sensenig-Dabbous: Von Metternich bis EU Beitritt: Reichsfremde, Staatsfremde und Drittauslaender, Immigration und Einwanderungspolitik in Oesterreich, in: Sensenig-Dabbous, E., John, M., Hahn, S. (eds.): Comprehensive Report on 150 Years of Migration to Austria from 1848 to 1998. Salzburg, 1998: 428

    [4] Waldrauch, Sohler: Migrantenorganisationen: 180

    [5] Waldrauch, Sohler: Migrantenorganisationen: 182-183

    [6] Saša Božić: Kroaten in Wien: Ethnizität einer Immigrantengemeinschaft. Dissertation an der Universität Wien, 1998: 124-125

    [7] Waldrauch, Sohler. Migrantenorganisationen: 183, 185

    [8] In den Akten der österreichischen Sicherheitsbehörden ist auch von „Velevit“ als Vereinsnamen die Rede.

    [9] Sabrina P. Ramet: Vladko Macek and the Croatian Peasant Defence in the Kingdom of Yugoslavia. In: Contemporary European History; Cambridge Vol. 16, Iss. 2, 2007: 217

    [10] Östa/AdR BMI 43.361-2B/59 „Versammlung kroatischer Emigranten am 22.2.1959 in Klagenfurt zur Vorbereitung der Gründung einer Zweigstelle des kroatischen Emigrantenvereins „Velebit“ mit Sitz in Wien und Verbreitung der Ziele USTASA-Bewegung bzw. einer „Kroatischen Befreiungsbewegung (HOP).“

    [11] Östa/AdR BMI 118.116-2/57 „Verein: Kroatische Vereinigung ‚Velebit‘ mit Sitz in Wien. Proponent: Radmann Anton […]“

    [12] Ebd.

    [13] Östa/AdR BMI 141.486-2/57 „Kroatische Vereinigung ‚Velebit‘; Vorstandswahl“

    [14] Östa/AdR BMI 147.213-2B/58 „Kroatische Vereinigung ‚Velebit‘; politische Tätigkeit“

    [15] Östa/AdR BMI 135.299-2B/58 „Kroatische Vereinigung ‚Velebit‘; Vorstandswahl

    [16] Östa/AdR BMI 20.251-2B/60 „Verein ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘; Angebliche terroristische Tätigkeit“

    [17] Östa/AdR BMI 88.475-2B/59 „Verein ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘; Antrag auf behördliche Auflösung.“

    [18] Östa/AdR BMI 43.361-2B/59

    [19] Ebd.

    [20] Ebd.

    [21] Östa/AdR BMI 49.585-2B/59 „Abhaltung einer Versammlung in Klagenfurt und einer nicht angemeldeten Versammlung in Asten/OÖ anläßlich des 10. April (kroat. ‚Befreiungstag‘)“

    [22] Ebd.

    [23] Östa/AdR BMI 43.361-2B/59

    [24] Östa/AdR BMI 65.941-2B/59 „Verein: ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘“

    [25] Bis 1959 waren die außenpolitischen Agenden im Bundeskanzleramt angesiedelt, erst unter Außenminister Bruno Kreisky entstand ein eigenständiges Außenministerium.

    [26] Östa/AdR BMI 88.475-2B/59 „Verein: ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘; Antrag auf behördliche Auflösung.“

    [27] BGBl. Nr. 152/1955: „Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich“

    [28] Östa/AdR BMI 24.993-2B/60: „Verein: ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘ mit Sitz in Wien; Berufung gegen die Auflösung des Vereins.“

    [29] Östa/AdR BMI 33.035-2B/61: „Verein: ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘; Verfassungsgerichtshofbeschwerde. Hier: Information der BPD Wien für alle Sicherheitsbehörden.“

    [30] Östa/AdR BMI 26.147-2B/63 „Tätigkeit jugoslawischer Emigranten in Österreich; hier: Überreichung eines Aide Mémoire der jugoslawischen Botschaft.“

    [31] Östa/AdR BMI 32.472-2B/64: „Verein: ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘; Tätigkeit.“

    [32] Östa/AdR BMI 22.390-2B/65: „Verein: ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘ Vereinstätigkeit“

    [33] Östa/AdR BMI 31804-17/67: „Verein: ‚Kroatische Vereinigung Velebit‘; behördliche Auflösung“

    [34] Božić: Kroaten in Wien: 125