Dieser Text will einen kurzen historischen Abriss von der Entstehung des „Unabhängigen Staat Kroatiens“ („Nezavisna Država Hrvatska“; kurz: NDH) bis zur Republik Kroatien geben, um eine Einführung in die Geschichte der kroatischen postfaschistischen/postnazistischen und postsozialistischen Gesellschaft zu bieten. Dabei soll auch auf die Erinnerungspolitik eingegangen werden, um die Wichtigkeit des Mythos von Bleiburg/Pliberk herauszustreichen. Zur Bedeutung von Bleiburg/Pliberk für die kroatische Nationsbildung siehe den Beitrag „Bleiburg als "kroatischer Holocaust"“ in diesem Blog.
Zur Vorgeschichte
Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen & das Königreich Jugoslawien
Im Jahr 1919, aus dem Zerfall Österreich-Ungarns hervorgehend, wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) gegründet - eine konstitutionelle Monarchie. Innerhalb dieser Zeit kam es immer wieder zu größeren Konflikten. Ein großer Streitpunkt war der Zentralismus des neu gegründeten Staates, welcher von nationalistischer Seite angegriffen wurde. Zentrale Akteurinnen für einen unabhängigen kroatischen Staat waren die „Kroatische Republikanische Bauernpartei“ („Hrvatska seljačka stranka“, kurz: HSS), sowie die völkische „Kroatische Partei des Rechts“ („Hrvatska stranka prava“, kurz: HSP), aus welcher die Ustaša entstanden. Die kroatische Bauernpartei war zu diesem Zeitpunkt die mit Abstand größte Partei, die für einen kroatischen Staat eintrat. Bei den jugoslawischen Wahlen im Jahr 1920 wurde sie drittstärkste Partei. Bis ins Jahr 1924 verweigerte sie allerdings jegliche Parlamentsarbeit und befand sich in Fundamentalopposition zum SHS-Staat.
Im Jahr 1928 erreichten die innerjugoslawischen Spannungen einen Höhepunkt und gipfelten in der Erschießung von 3 Abgeordneten der kroatischen Bauernpartei, unter ihnen deren Anführer, Stjepan Radic, in einer Parlamentssitzung. Am 6. Jänner 1929 wurde das Parlament von König Alexander aufgelöst, eine Königsdiktatur errichtet und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zum Königreich Jugoslawien umbenannt. Gleichzeitig wurde die Verwaltung neu gegliedert sowie alle Parteien verboten. Gleichzeitig mit dem Verbot aller Parteien gründete sich die Ustaša-Bewegung und begann mit ihren Untergrundaktivitäten. (vgl. Calic 2010:83, 90-91, 107)
Die Ustaša
Vorläufer der Ustaša-Bewegung war die völkische „Kroatische Partei des Rechts“ (HSP) welche im Jahr 1861 gegründet wurde. Der „Poglavnik“ („Führer“) der Ustaša-Bewegung war Ante Pavelić, welcher seit 1915 die Funktion des Parteisekretärs innehatte. Die HSP lehnte jegliche Form eines jugoslawischen Staates ab und forderte ein völkisches Großkroatien. Gemeinsam mit der „Kroatischen Republikanischen Bauernpartei“ (HSS) bildeten sie durch Zusammenarbeit die kroatisch-nationale Opposition Jugoslawiens. Diese Zusammenarbeit hielt allerdings nur bis in das Jahr 1924, als die Bauernpartei eine Loyalitätserklärung zum jugoslawischen Staat beziehungsweise dem Königreich der Serben, Kroaten, Slowenen abgab und sich an der Regierung sowie an der Arbeit im Parlament beteiligte. Damit gab die Bauernpartei ihre Verweigerung des zentralistischen Staates auf und forderte fortan eine kroatische Souveränität innerhalb des Staates. (Hory/Broszat 1967:16-17)
Als im Jahr 1928 Stjepan Radić im Parlament erschossen wurde und damit die Bauernpartei wieder in strikte Opposition ging, sah die HSP die Zeit für einen faschistischen Umsturzversuch gekommen und begann ihren Aktionismus auf militante Aktionen auszuweiten. Es wurden bewaffnete Gruppen gegründet, welche sofort begannen antiserbische Anschläge zu verüben. Bald erkannte die HSP jedoch, dass es zu keiner kroatisch-nationalen Revolution kommen werde, unter anderem weil die Bauernpartei unter ihrer neuen Führung nicht gewillt war, die Aktivitäten der HSP zu unterstützen. Mit der Proklamierung des Königreichs Jugoslawiens und dem damit einhergehenden Verbot aller Parteien im Jahr 1929, wurde die „Ustaša Hrvatska Revolucionarna Organizacija“ („Kroatische Revolutionäre Organisation der Aufständischen“), kurz Ustaša, gegründet. Pavelić und seine Vertrauten gingen ins Ausland, knüpften dort Kontakte mit exilkroatischen und politisch verwandten Organisationen und begannen paramilitärische Einheiten aufzubauen. Es entstanden zwei Ausbildungslager im faschistischen Italien, welches die Ustaša unterstützte, sowie ein weiteres in Ungarn. In den folgenden Jahren kam es zu einigen Anschlägen und Aufstandsversuchen, sowie zu einer regen Propagandaaktivität außerhalb und innerhalb Jugoslawiens. (vgl. Hory/Broszat 1967:17-24)
Mit dem Attentat auf den jugoslawischen König Alexander I. im Jahr 1934 verringerte sich die Unterstützung des faschistischen Italiens - anfangs allerdings nur halbherzig und mit weitergehender Unterstützung Pavelićs. Mit dem Freundschaftsvertrag zwischen Italien und Jugoslawien im Jahr 1937 änderte sich diese Unterstützung allerdings entscheidend: Die Ustaša-Lager wurden aufgelöst, ihre Führung unter polizeiliche Bewachung gestellt und Ustaša-Mitglieder inhaftiert. Auch im Dritten Reich befanden sich Unterstützer_innen und Strukturen der Ustaša, eine so offene Unterstützung wie von Italien aus, gab es – hauptsächlich aus diplomatischen Erwägungen – allerdings nicht. Damit wurde die Aktivität der Ustaša von 1937-41 empfindlich eingeschränkt. Erst ab 1939 kam es wieder zu konkreter Unterstützung durch Italien für etwaige militärische Auseinandersetzungen. (vgl. Hory/Broszat 1967:24-26)
Der „Unabhängige Staat Kroatien“ (NDH)
Die Gründung des „Unabhängigen Staates Kroatien“ (NDH)
Im Jahr 1941 trat das Königreich Jugoslawien, aufgrund von starkem Druck seitens des Nationalsozialismus, den Achsenmächten bei und gab damit seine Politik der Neutralität auf. Am gleichen Tag kam es zu einem achsenfeindlichen Putsch in Jugoslawien, welcher sich gegen die gemeinsame Politik mit den Achsenmächten richtete und die vorhergehende Neutralitätspolitik wiederherstellen wollte. Getragen wurde dieser von Teilen des Militärs und der jugoslawischen Politik. Als Reaktion auf den Putsch begann das nationalsozialistische Deutsche Reich daraufhin, einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien vorzubereiten. Nach der Zerschlagung Jugoslawiens sollte ein unabhängiger kroatischer Staat entstehen, da mit der Unterstützung der nationalistischen und faschistischen Opposition Kroatiens gerechnet wurde. Nach Rücksprache mit den Ustaša wurde mit der Zerschlagung Jugoslawiens begonnen: Am 6. April 1941 begann der deutsche Angriff, am 10. April wurde der „Nezavisna Država Hrvatska“ („Unabhängiger Staat Kroatien“, kurz: NDH) ausgerufen und am 15. April traf Pavelić in Zagreb ein, von wo aus er die Führung des NDH übernahm. (vgl. Calic 2010:135-136)
Mit der Proklamation des NDH entstand ein Staat, welcher das Gebiet des heutigen Kroatiens, sowie Bosnien und Herzegowina umfasste. Neben einem kroatisch-verwalteten Gebiet gab es eine deutsche sowie eine italienische Militärzone, was de facto bedeutete, dass der NDH ein Vasallenstaat des faschistischen Italiens und des Nationalsozialismus war, allerdings einen großen Teil seines Staatsgebietes selbst kontrollierte und frei agieren konnte. Sofort mit der Machtübernahme wurde versucht, die Gesellschaft nach dem Vorbild des nationalsozialistischen Deutschlands neu zu strukturieren. Mit der Übernahme der Nürnberger Rassegesetze, der Einführung des „Gesetz zum Schutz von Volk und Staat“ am 17.April 1941, sowie der Etablierung eines eigenen KZ-Systems begannen die Vorbereitungen zum Holocaust in Kroatien. (vgl. Calic 2010:137-138) Es kam sofort zu antiserbischen und antisemitischen Maßnahmen und Aktionen. Eine Besonderheit des NDH, welche sich aufdrängt extra zu betonen, ist die Unterhaltung des oben genannten unter Ustaša-Führung stehenden KZ-Systems, welches ohne deutsche Hilfe betrieben wurde, mit dessen größtem Todeslager Jasenovac, in welchem 80 000-90 000 Serb_innen, Juden_Jüdinnen, Roma_Romnij ermordet wurden (vgl. Radonić, 2004).
Im Vernichtungsantisemitismus sowie durch den Bezug auf die Ideologie der als arisch definierten Volksgemeinschaft zeigen sich am deutlichsten ideologische Gemeinsamkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und der Ustaša-Bewegung. Der wohl offensichtlichste Unterschied zwischen beiden ist die klerikale, katholische Stoßrichtung der Ustaša-Ideologie. Gleichzeitig war auch der italienische Faschismus ein wichtiger Bezugspunkt für die Ustaša. Die Ustaša-Ideologie kann wohl als „Synthese aus NS und Faschismus unter Anpassung an die kroatischen Zustände“ (Radonić, 2004) am besten beschrieben werden.
Das Ende des NDH
Mit dem Vorrücken der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee (Nardnooslobodilčka vosjka, NOV) und der (bevorstehenden) bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches begannen Ustaša-Verbände, Domobranen, (Ustaša-)Sympathisant_innen, hochrangige Ustaša-Funktionäre, Četniks, deutsche Wehrmachts- und SS- Truppen, etc. vor den vorrückenden Partisan_innen in Richtung britisch-befreiter Zone zu flüchten. Sie erhofften sich, dort kapitulieren zu können, um – wohlwissend um ihrer Verbrechen und der damit einhergehenden Angst vor Vergeltungsaktionen – nicht in jugoslawische Gefangenschaft, sondern in britische zu geraten. Die jugoslawische Volksbefreiungsarmee wollte dies mit allen Mitteln verhindern, es wurde versucht den Weg der Fluchtroute abzuschneiden, um die Truppen einzukesseln. So kam es in den letzten Kriegstagen wie auch nach der Kapitulation des Dritten Reiches noch zu starken militärischen Auseinandersetzungen, welche bis zum 25.Mai 1945 andauerten. Einige Einheiten erreichten am 14.Mai das Loibacher Feld/Libuško Polje nahe Bleiburg/Pliberk, wo sie mit britischen Truppen Kontakt aufnahmen um zu kapitulieren. Die britischen Truppen lehnten allerdings die Kapitulation auf ihrem Gebiet ab und die Einheiten mussten sich der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee ergeben. Von dieser wurden sie auf jugoslawisches Gebiet gebracht, während des Wegs zurück kam es zu Racheaktionen: Zehntausende wurden auf jugoslawischem Staatsgebiet getötet. Aus diesen Ereignissen wurde der Bleiburger Opfermythos konstruiert. Entgegen dem Mythos kam es in Bleiburg/Pliberk nie zu Erschießungen, diese fanden auf jugoslawischem Staatsgebiet statt. Bleiburg/Pliberk selbst stellt auch nicht DIE Kapitulation der Ustaša dar, sondern ist mehr eine Kapitulation unter mehreren, welche in diesen Gebieten stattfanden. (vgl. Dietrich, 2008:300-302)
Während sich etliche tausende (u.a. hochrangige und bedeutende) Ustaša-Funktionäre mit ihren Angehörigen ins Exil retten konnten, unter ihnen auch Ante Pavelić, und Anschluss an sympathisierende kroatische Exilgruppen fanden, von wo aus sie propagandistische und organisatorische Tätigkeiten fortsetzen/neu beginnen konnten und so gut organisierte Netzwerke etablierten, oder diese gründeten, wurden die überlebenden Gefangenen nach Jugoslawien gebracht, interniert und vor Gericht gestellt. Pavelić selbst flüchtete nach Salzburg und weiter nach Argentinien. Dort stand er unter dem Schutz Perons und gründete eine Exilregierung. Später musste er allerdings aufgrund eines Attentates der UDB-a[1] nach Spanien flüchten, wo er unter dem Schutz Francos stand. Er starb 1959 in Madrid an den Folgen dieses Attentates. Neben propagandistischen und organisatorischen Tätigkeiten nahm ein Teil der im Exil befindlichen Ustaša und/oder kroatischen Nationalist_innen den bewaffneten Kampf gegen Jugoslawien auf.[2] (vgl. Dietrich, 2008:303-304 sowie Deschner 1965:189)
Das sozialistische Jugoslawien
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Machtübernahme der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, KPJ, wurde die „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“, SFRJ, gegründet. Das realsozialistische Jugoslawien wurde laut Verfassung wie folgt gegliedert: In der Verfassung wurden 5 staatsbildende Nationen genannt: Slowenien, Kroatien, Serbien, Makedonien und Montenegro (in den 1960er Jahren kamen bosnische Muslime als sechste Nation hinzu). Verwaltungstechnisch bestand Jugoslawien aus sechs gleichwertigen Teilrepubliken: Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Makedonien und Bosnien-Herzegowina. Die KPJ selbst wurde in „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ umbenannt. Alle diese Maßnahmen wurden aufgrund der nationalistischen Erfahrungen ergriffen. Gleichzeitig wurde nicht-jugoslawischer Nationalismus verdrängt und unterdrückt, aber auch bestätigt, vor allem durch die Annahme von verschiedenen „Völkern“. Natürlich verschwanden Faschismus und Nationalismus durch Verdrängung nicht aus der jugoslawischen Gesellschaft, so kam es immer wieder zum Aufflammen desselben und zu seiner Rückkehr. (vgl. Calic 2010:180-182)
Erinnerungspolitisch wurde im Sinne von „Brüderlichkeit & Einheit“ („Bratvo i jedinstvo“), eine der zentralen Ideen des sozialistischen Jugoslawiens, gehandelt. Der Partisan_innenkampf als Gründungsmythos Jugoslawiens schuf dafür die Voraussetzungen: So wurde alle Schuld den besiegten nicht-kommunistischen Feinden zugeschoben, jegliche Diskussion über Täter_innen, Opfer und Widerstandskämpfer_innen wurde untersagt. Als einzig zulässige Erinnerung wurde die Erinnerung an den antifaschistischen Kampf angesehen, was Elemente wie nicht-jugoslawischer Nationalismus, Täter_innenschaft und Faschismus aus der Öffentlichkeit beziehungsweise aus der Debatte verbannte. So sollte eine Art nationale Harmonie hergestellt werden. Dieses Verdrängen und nicht-Auseinandersetzen mit der Vergangenheit und (reaktionären) Ideologien sollte, beziehungsweise konnte, nicht lange funktionieren: Ab den 1960er/1970er Jahren wurden nationalistische Bestrebungen lauter. In den 1960er Jahren kam es vermehrt zu Debatten serbischer und kroatischer Historiker über die nationalen Anteile an der Partisan_innenbewegung. Vor Allem Franjo Tuđman, der spätere erste Präsident der Republik Kroatien, nahm dabei eine zentrale Stellung ein. (vgl. Radonić, 2008:284-285)
Das Gedenken in Bleiburg/Pliberk wurde bis zu den 1990er Jahren von exilkroatischen Gruppen organisiert und finanziert. Die Errichtung der Gedenkstätte 1976, zum Beispiel, wurde aus Kanada finanziert und der Bleiburger Ehrenzug (PBV) – Organisator der Bleiburggedenkfeiern – wurde in den 1960er Jahren in Klagenfurt/Celovec gegründet. Aus diesen Kreisen wurden auch von 1945-1990 etliche Publikationen veröffentlicht, die den Bleiburger Opfermythos maßgeblich mitprägten. (vgl. Dietrich, 2008:303-304) In Jugoslawien hingegen wurden offizielle Gedenkfeiern im ehemaligen KZ Jasenovac abgehalten. Jasenovac als Ort des Gedenkens nahm allerdings auch eine komplizierte Rolle im jugoslawischen Gedenken ein: Während das Erinnerungsnarrativ nur den antifaschistischen Widerstand kannte, wurden in Jasenovac nur zu einem kleinen Teil Widerstandskämpfer_innen ermordet. Hauptsächlich wurden Serb_innen, Juden_jüdinnen, Roma_Romnija aus rassistischen und antisemitischen Gründen ermordet. (vgl. Radonić, 2008:284-285)
Der sogenannte „Kroatische Frühling“
In den späten 1960er/frühen 1970er Jahren kam es zum sogenannten „Kroatischen Frühling“ als verschiedene Funktionär_innen der Teilrepublik Kroatien kroatisch-nationalistische und völkische Forderungen stark machen wollten. Diese Bewegung endete allerdings schon 1971, als die Unterstützer_innen der Bewegung aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen wurden. Jedoch führte dieser Protest zu einer Verfassungsreform und Zugeständnissen an nationalistische Strömungen in ganz Jugoslawien, welche in dieser Zeit nicht nur in Kroatien laut wurden. Diese Zugeständnisse und die Verabschiedung einer neuen Verfassung öffneten nationalistischen Politiken neue Türen. (vgl. Calic 2010:248-254)
In den 1980ern begannen die nationalistischen Debatten immer stärker zu werden. Nachdem das jugoslawische Deutungsmonopol der Geschichtserinnerung aufgebrochen wurde, wurden die nationalistischen Debatten um den Zweiten Weltkrieg lauter. Allerdings wurden so neue Opfermythen geschaffen, anstatt einer Aufarbeitung kam es zu einem nationalistischen „Erinnern“. Auch hier nahm Tuđman eine zentrale Rolle ein: Mit seinem 1989 erstmals erschienenen Buch „Irrwege der Geschichtswirklichkeit“ fasste er seine Geschichtsauffassung, welche er seit den 1960er Jahren publizierte, zusammen: Er spielte systematisch die Zahlen der in Jasenovac Ermordeten herunter und stellte sie – strategisch wohl berechnet – auf eine annähernd gleiche Zahl wie die angeblich in Bleiburg/Pliberk von den Partisan_innen Ermordeten. Gleichzeitig sprach er durchgehend von Jasenovac als „Arbeitslager“, behauptete Juden_Jüdinnen seien an ihrer eigenen Vernichtung selbst schuld gewesen und der Antisemitismus sei eine Konstante der Geschichte, an dem Juden_Jüdinnen auch selbst schuld seien. Er bestritt die Ustaša-Verbrechen nicht, rechnete diese aber systematisch mit Verbrechen von Četniks und Partisan_innen auf und/oder spielte sie herunter, um sie zu relativieren. (vgl. Radonić 2008:287)
Der Zerfall Jugoslawiens und die Republik Kroatien
Der Zerfall Jugoslawiens zeichnete sich schon längere Zeit ab; Nationalistisches und völkisches Gedankengut bestimmten dabei die Debatten. Die Teilrepubliken Kroatien und Slowenien erklärten sich 1991 als erstes unabhängig. Im Laufe der nächsten Jahre kam es zu den Jugoslawienkriegen, auf die hier aber nicht näher eingegangen wird, stattdessen soll es um die Politik innerhalb Kroatiens während dieser Zeit und danach gehen.
Die Unabhängigkeit Kroatiens und die 1990er Jahre
Im April 1990 wurden erstmals freie Wahlen in Kroatien abgehalten. Diese Wahl gewann Franjo Tuđman und die von ihm gegründete „Kroatische demokratische Gemeinschaft“ (Hrvatska demokratska zajednica, kurz: HDZ). Am 25. Juni 1991 erklärte sich Kroatien für unabhängig. Tuđman selbst blieb bis zu seinem Tod 1999 im Amt. Seine Politik der 1990er Jahre war von völkischem Nationalismus - Tuđman sah sich als Präsident aller Kroat_innen weltweit - autoritärer Regierungsform, Einschränkung der Pressefreiheit und Geschichtsrevisionismus geprägt: Es wurde sich nun offen positiv auf den NDH bezogen, welcher laut Tuđman „(…) auch der Ausdruck historischer Bestrebungen des kroatischen Volkes nach einem unabhängigen Staat war“. (zitiert nach: Radonić 2008:286) Plätze wurden nach Ustaša-Funktionären umbenannt, Partisan_innendenkmäler entfernt, die Währung wieder Kuna (wie im NDH) genannt und das weiter oben erwähnte Buch „Irrwege der Geschichtswirklichkeit“ wurde kolumnenhaft in Tageszeitungen gedruckt – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Gleichzeitig fielen in seine Regierungszeit der Kroatien- sowie der Bosnienkrieg, welche zu den jetzigen Grenzen der Republik Kroatien führten. (vgl. Calic 2010:300, 308 sowie Radonić 2008:286-288)
Von nun an wurde das Gedenken in Bleiburg/Pliberk Teil der nationalen/offiziellen (Gedenk)Politik Kroatiens. Offizielle Teilnahmen kroatischer Politiker_innen am Gedenken in Bleiburg/Pliberk wurden nun zum Standard und das kroatische Parlament übernahm die Schirmherrschaft über das Gedenken in Bleiburg/Pliberk. Auch wurde begonnen das Gedenken live im Fernsehen zu übertragen. Gleichzeitig verfolgte Tuđman den Plan einer „nationalen Versöhnung“, „pomirba“ genannt: Für ihn waren Ustaša und Partisan_innen zwei Seiten, die jeweils auf ihre Art für die kroatische Sache gekämpft hätten. Konsequenterweise entstand daraufhin ein Plan die Überreste von Ustaša-Soldaten gemeinsam mit denen von in Jasenovac Ermordeten auf dem Gelände Jasenovacs zu begraben und so das ehemalige KZ Jasenovac zu einer „nationalen Gedenkstätte“ umzufunktionieren. Dieser Plan konnte allerdings durch internationalen Druck nicht durchgeführt werden. In kleinem Rahmen wurde die Idee dennoch umgesetzt: 1996 wurden 100 Domobranen, 10 Ustašen und 2 Partisan_innen exhumiert und in Omiš feierlich gemeinsam wiederbeerdigt. (vgl. Radonić 2008:286-288)
Nach dem Tod Tuđmans
Nach Tuđmans Tod 1999 wurde die HDZ abgewählt. Mit diesem Zeitpunkt begann eine Demokratisierung der Republik Kroatiens. In dieser Zeit änderte sich auch die Gedenkpolitik: Die sozialdemokratische Regierung nahm gewisse vergangenheitspolitische Maßnahmen zurück und im Jahr 2002 nahm erstmals ein amtierender Premierminister am Gedenken in Jasenovac teil. Die Idee der „nationalen Versöhnung“ wurde als Geschichtsfälschung bezeichnet, sowie offen über Täter_innenschaft der Ustaša gesprochen. (vgl. Radonić 2008:289-290)
Im Jahr 2003 kam die HDZ wieder an die Macht, allerdings verändert: Vor und mit der zweiten Regierungsübernahme änderte sich das öffentliche Auftreten der HDZ: Von der positiven Bezugnahme auf den NDH wurde Abstand genommen. Ivo Sanader, damaliger Vorsitzender, wandte sich gegen die Verharmlosung des NDH und brach auch mit der Tradition, bei der Thematisierung von Jasenovac sofort Bleiburg/Pliberk zu erwähnen. Ob sich die HDZ allerdings wirklich gewandelt hat bleibt zweifelhaft – so scheint es als ob lediglich Ivo Sanader und seine Vertrauten sich in diese Richtung änderten. Sicherlich auch aufgrund des ersuchten Beitritts der EU musste die HDZ eine öffentliche Mäßigung vornehmen. Nur weil Ivo Sanader sich vom positiven Bezug auf den NDH verabschiedete, heißt das natürlich nicht, dass dessen Politik nicht auch weiterhin von Geschichtsrevisionismus und Schuldabwehr geprägt war. Ein Beispiel: Bei seinem Besuch in Yad Vashem im Jahr 2005 erklärte er, dass auch das kroatische Volk einen Holocaust erlitten habe. (vgl. Radonić 2008:290-292) Die Schuldabwehr zeigt sich hier nur anders.
Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2007 siegte wieder die HDZ, von 2011-2015 befand sie sich in der Opposition. 2011 siegte eine sozialdemokratisch geführte Koalition, welche die Schirmherrschaft des kroatischen Parlaments über das Gedenken in Bleiburg/Pliberk aufkündigte. Seit 2015 befindet sich die HDZ wieder in der Regierung und auch die Schirmherrschaft wurde wieder aufgenommen. Auch wenn die HDZ sich weiterhin gemäßigt gibt, hat sie sich dennoch nicht maßgeblich verändert. Was einerseits an der mangelnden Aufarbeitung beziehungsweise dem Revisionismus, aber auch an Personen wie zum Beispiel Zlatko Hasanbegović zu sehen ist. Dieser war bis zum Oktober 2016 Mitglied der 11. Kroatischen Regierung - für ihn stellt die Niederlage des NDH „eine der größten Tragödien unserer Nation“ dar.[3] Das selbst konstruierte Bild der HDZ als einer pro-europäischen, konservativen Partei zeigt sich in der aktuellen kroatischen Regierung (Oktober 2017), in welcher der rechte Flügel der Partei keine Posten mehr erhalten hat. Der Geschichtsrevisionismus und der positive Bezug auf den NDH ist trotzdem ein fester Bestandteil in der kroatischen Gesellschaft und der Politik der HDZ.[4]
Ein weiteres, aktuelles Beispiel, dass diesen Zustand wohl sehr gut illustriert, ist eine im Jahr 2016 in der Nähe von Jasenovac angebrachte Gedenktafel für 11 Angehörige der HOS-Miliz, welche im Jugoslawienkrieg getötet wurden. Die HOS („Hrvatske obrambene snage“; dt. „Kroatische Verteidigungskräfte“) war eine paramilitärische Organisation, welche neben den regulären kroatischen Streitkräften im Kroatienkrieg (1991-95) kämpfte. Ihr Ziel war die Etablierung eines Großkroatiens. Der Name lehnt sich an die Streitkräfte des NDH (ebenfalls HOS) an, ihr Leitspruch „Za Dom Spremni!“ („Für die Heimat bereit!“), war der Leitspruch der Ustaša. Sie wurde ab November 1991 in die reguläre kroatische Armee integriert. Die Tafel selbst beinhaltet das Logo der HOS mit dem oben genannten Leitspruch. Nachdem es 2017 im Zuge der Jasenovac-Gedenkveranstaltungen zu Protesten gegen diese Tafel gekommen war, wurde die Tafel entfernt und ein paar Kilometer weiter weg wieder aufgestellt. Allerdings passierte dies auch nur, weil die Regierungskoalition aus HDZ und HNS drohte deswegen zu zerbrechen und sich so die HDZ genötigt sah, diesen Schritt zu tun. Die Gedenkfeiern im KZ Jasenovac selbst werden aus Protest gegen den Umgang der Regierung mit der NDH-Vergangenheit, rechtsextremen und faschistischen Symbolen und Aktivitäten, seit 2016 von den Opferverbänden boykottiert. Diese halten eigene Gedenkfeiern ab.[5]
Fazit
Ohne einen historischen Blick auf die moderne kroatische Politik, lässt sich das heutige Kroatien und die Entwicklung seit den 1990er Jahren nicht verstehen. Der kroatische Faschismus wurde fliessend in die kroatische Gesellschaft integriert, gedacht wird was in die nationale Geschichtsschreibung passt. Der Geschichtsrevisionismus ist fester Bestandteil der kroatischen Gesellschaft und der Politik seit den 1990er Jahren. Der NDH wird oftmals verklärt und werden die Verbrechen nicht offen verehrt, so werden sie doch (absichtlich) ausgeblendet. Auch wenn es Gegenstimmen und Protest gibt, ein positiver Bezug auf den NDH und/oder seine Verharmlosung im Mainstream ist hegemonial. Von einer Aufarbeitung der Vergangenheit kann (noch) nicht gesprochen werden.
Literatur
Calic, Marie-Janine (2010) Geschichte Jugoslawiens im 20.Jahrhundert. München. Deschner, Karl-Heinz (1965) Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelić. Stuttgart. Dietrich, Stefan (2008) Der Bleiburger Opfermythos. In: Zeitgeschichte. 35. Jg. Heft 5. S. 298-317. Hory, Ladislaus / Broszat, Martin (2010) Der kroatische Ustascha-Staat 1941-45. München. Radonić, Ljiljana (2008) Vergangenheitspolitik in Kroatien – Vom Geschichtsrevisionismus zur Aufarbeitung der Vergangenheit? In: Zeitgeschichte . 35. Jg. Heft 5. S. 282-297. Radonić, Ljiljana (2004) Holocaust und Revisionismus in Kroatien. In: Context XXI 4-5. 2004. Online abrufbar unter: cafecritique shoaHR (zuletzt am 13.10.2017). Kosmo - Jasenovac Boykott und Ustaschagruß überschatten Gedenken/ Der Standard - Titp wird in Zagreb abmontiert Balkan insight - croatian wwii fascist chant plaque from jasenovac Balkan insight - croatia jews boycotting wwii concentration camp commemorationQuellen
[1] UDBA (Uprava državne bezbednosti, dt.: Behörde der staatlichen Sicherheit) war einer der Geheimdienste des sozialistischen Jugoslawiens.
[2] Ein Beispiel hierfür wäre die „Bugojno Gruppe“, welche 1972 Jugoslawien infiltrierte, um einen bewaffneten Aufstand zu starten, durch welchen der NDH wiedererrichtet werden sollte. Diese Aktion scheiterte allerdings kläglich.
[3] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Zlatko_Hasanbegovi%C4%87#Bezeichnung_der_Niederlage_des_NDH_1945_als_.E2.80.9Eunsere_gr.C3.B6.C3.9Fte_nationale_Trag.C3.B6die.E2.80.9C
[4] Vgl. http://derstandard.at/2000063961001/Tito-wird-in-Zagreb-abmontiert?ref=rec
[5] Vgl. http://www.kosmo.at/jasenovac-boykott-und-ustascha-gruss-ueberschatten-gedenken/ ,
http://www.balkaninsight.com/en/article/croatian-wwii-fascist-chant-plaque-from-jasenovac-09-07-2017 und http://www.balkaninsight.com/en/article/croatia-jews-boycotting-wwii-concentration-camp-commemoration-03-16-2017 (zuletzt abgerufen am 6.10.2017)