Einsatz 2017: Aus Drei mach' Zwölf
Am Samstag den 13. Mai 2017 fand in Bleiburg/Pliberk das jährliche Treffen ehemaliger Ustaša und ihrer Fans statt. Es wurden im Vorhinein zahlreiche Bedenken geäußert: so wurde kritisiert, dass das Treffen ein faschistischer Aufmarsch sei, Politik und Behörden dieses untersagen sollen, oder wenigstens eine entsprechende Aufmerksamkeit auf faschistische und verhetzende Zeichen, Gesten und Äußerungen legen sollten. Zudem wurde mehrfach angemerkt, dass der faschistische Auflauf offiziell als „kirchliche Feier“ gilt und kritisch gefragt, ob die Bierzelte, der Ausschank und die Verkaufsstände auch wirklich von der Ausnahme für „Prozessionen“ im Versammlungsrecht gedeckt sind.[1]
Die Polizei kam dem nicht nach: Der Einsatz beschränkte sich 2017 auf eine lockere Kontrolle zwischen Bundesstraße und Privatgelände, das Veranstaltungsgelände selbst wurde kaum kontrolliert, erst bei der Kranzniederlegung wurde das Videoteam der LPD und die Handvoll Verfassungsschützer halbwegs aktiv, vor Ort war eine einzige sprachkundige österreichische Beamtin eingesetzt. So war es auch kein großes Wunder, dass der Polizei die zahlreichen verhetzenden Lieder in und vor den Bierzelten, die Ustaša-Devotionalien auf den Verkaufsständen, faschistische Fahnen und Symbole sowie die Hitlergrüße auf dem Veranstaltungsgelände und in den Zelten nicht auffielen. TeilnehmerInnen der Veranstaltung berichteten mehrfach, dass die von ihnen der Polizei gemeldeten Hitlergrüße ignoriert und nicht aufgenommen wurden.[2]
Dementsprechend sah dann auch die polizeiliche Statistik aus: Drei Anzeigen nach dem Verbotsgesetz. Das war die Zahl, die der Pressesprecher der LPD Kärnten/Koroška, Rainer Dionisio, am Nachmittag der Ustaša-Feier 2017 an die APA weiterleitete und die in Folge von Medien übernommen wurde. Nebenbei bemerkt: Keine Festnahmen, nur Feststellungen der Personalien.
Im Juli brachte Karl Öllinger eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt/Celovec ein, die durch Fotos und Verweise auf Zeitungsberichte bzw. ZeugInnen zahlreiche Fälle von Vergehen nach dem Verbotsgesetz aufzeigten. [3] Insgesamt waren in der Sachverhaltsdarstellung mindestens 14 Fälle dokumentiert. Die Staatsanwaltschaft nahm sich dieser Fälle an – wozu sie durch die Strafprozessordnung auch verpflichtet ist – und beauftragte die Polizei mit Ermittlungen. Diese Ermittlungen sind – wie wir nun, mehr als ein Jahr nach der 2017-Feier wissen – in allen bis auf einen Fall im Sand verlaufen. Müssen sie auch: Die Polizei hat von den Tätern aus 2017 ja nur von dreien die Personalien aufgenommen und alle wieder ausreisen lassen.
Bei einer Pressekonferenz am 9. Mai 2018, kurz vor dem Ustaša-Treffen 2018, benutzte dann LPD-Direktorin Michaela Kohlweiß plötzlich andere Zahlen: Nicht drei, sondern zwölf Anzeigen hätte es 2017 gegeben. Konkret sagte sie vor JournalistInnen: „Dementsprechend, und ich darf Ihnen aus der Vorjahresstatistik zitieren, hat es voriges Jahr auch 12 Anzeigen nach dem Verbotsgesetz gegeben, 3 Anzeigen wegen Körperverletzung gegeben, es hat 2 Anzeigen nach Sicherheitspolizeigesetz gegeben, und es hat auch 2 Anzeigen nach dem Eisenbahngesetz gegeben. Geschätzte Damen und Herren: Das kommt nicht vom Wegschauen!“
Das kommt tatsächlich nicht vom Wegschauen. Hingeschaut haben Medien, JournalistInnen und FotografInnen, antifaschistische AktivistInnen, kritische BeobachterInnen aus der kärntner Zivilgesellschaft und ein paar AnwohnerInnen aus Bleiburg/Pliberk. Zur Entlastung vom Vorwurf der Untätigkeit der Behörden und des aktiven Wegschauens der BeamtInnen hat diese „Vorjahresstatistik“ hingegen nicht gereicht.
Bleiburg 2017: Zwölf Anzeigen, eine Verurteilung.
Die Polizei zeigte 2017 also drei Personen wegen Verbotsgesetz-Verstößen an. Karl Öllinger meldete der Staatsanwaltschaft (mindestens) vierzehn Fälle. Dass die Polizei seither von zwölf redet, deutet darauf hin, dass nicht alle Meldungen aus der Sachverhaltsdarstellung übernommen wurden oder sich diese in drei Fällen überschnitten haben.
Die Polizei nahm 2017 von folgenden Personen Daten auf und zeigte sie an:
- Kroatischer Staatsbürger, 68 Jahre, „laut einem Zeugen den Hitlergruß gezeigt“
- Kroatischer Staatsbürger, 55 Jahre, „Nazigruß“, von „Securitymitarbeiter beobachtet“
- Kroatischer Staatsbürger, ? Jahre, „auf den Armen Hakenkreuze tätowiert“[4]
Das Verfahren gegen den Mann mit Hakenkreuz-Tattoo wurde laut Staatsanwaltschaft Klagenfurt/Celovec Anfang 2018 nicht angeklagt, weil keine „subjektive Tatseite“ vorgelegen hätte. Vom Verfahren gegen den 55-Jährigen hat man nie wieder etwas gehört, es wurde wohl ebenso eingestellt und nie angeklagt. Was mit den neun weiteren „Anzeigen“ (laut Kohlweiß) wurden, weiß man nicht. Wahrscheinlich ist, dass die polizeilichen Ermittlungen nicht für eine Anklage reichten, was wohl daran scheiterte, dass die Polizei keine Personalien aufgenommen hat und wohl tatsächlich keine Möglichkeit hat, die Personen zu identifizieren.
Zusammengefasst gab es in Bleiburg 2017 bei dutzenden Hitlergrüßen und verhetzenden Schlachtgesängen polizeilich nur drei Personalienfeststellungen und gerichtlich nur eine Verurteilung. „Das kommt nicht vom Wegschauen“?
Bleiburg 2018: Einschreiten „wie bisher“ – oder doch „Aktion scharf“?
Ustaša-Feier am 12. Mai 2018: 300 PolizistInnen überwachen 10.000 Ustaša-Fans und deren „Messe“. Am 8. Mai 2018 gab es eine interne Einsatzvorbesprechung, am 9. Mai eine Pressekonferenz bei der man sich gegen den Vorwurf des „kollektiven Amtsmissbrauchs“ und des „aktiven Wegschauens“ zu wehren versuchte und ankündigte „wie bisher“ einzuschreiten, zu überwachen, zu intervenieren.
Widersprüche
Die Polizei hat nun also das Problem, dass sie im Jahr 2018 – wohl ob des öffentlichen Drucks – gegen die offensichtlichen Hitlergrüße und klar erkennbaren faschistischen Agitationen eingeschritten ist, gleichzeitig das aber als „business-as-usual“ darstellen muss, sonst würde sie ja zugeben, bisher geschlafen oder weggesehen zu haben. Dass sich die Anzeigenstatistik (auf Basis dienstlicher Wahrnehmungen) von drei (2017) auf neun (2018) verdreifacht hat ist auffällig; Wenngleich das natürlich noch immer nur ein kleiner Teil der tatsächlichen faschistischen Manifestationen erfasst.
Die Sicherheitsbehörden werden versuchen, das mit der größeren Zahl an eingesetzten BeamtInnen zu erklären (2017: 100, 2018: 300), wobei das Argument nur bedingt zählt: Demnach hätte man ja schon zuvor mehr Kräfte einsetzen müssen. Und man muss sich die Frage stellen, ob eine „kirchliche Feier“, bei der je nach eingesetzter Zahl von PolizistInnen auch entsprechend mehr Verbotsgesetz-Verstöße wahrgenommen werden können, wirklich noch eine solche harmlose Feier ist, als die man sie darstellt. (Oder ist gar das Verhältnis von 100 eingesetzten PolizistInnen zu 3 erkannten Hitlergrüßen ein fixes Verhältnis?!)
Die Sicherheitsbehörden könnten auch argumentieren, dass 2018 die Einsatzkräfte besonders geschult wurden. Dass zumindest einer der eingesetzten PolizistInnen einen SS-Totenkopf im Format 40 mal 40 Zentimeter auf einem T-Shirt zu erkennen vermochte würde das sogar untermauern. Dann muss man aber fragen, ob die generellen Schulungen in Hinblick auf Verbotsgesetz und Abzeichengesetz der Kärntner Exekutive an sich ausreichen.
Dritte mögliche Erklärungvariante: Man könnte behaupten, 2018 wären einfach mehr FaschistInnen gekommen. 2017 hätten sich damit also drei Faschisten unter die 15.000 BesucherInnen gemischt, 2018 waren es eben neun FaschistInnen, die von den eingesetzten Kräften eindeutig von 9.991 MessgeherInnen unterschieden werden konnten.
Vierte Option, die Polizeidirektorin hat es bereits im Februar 2018 prophezeit: Die übertriebene und überhaupt schändliche Berichterstattung mancher, vor allem Wiener, Medien über das eigentlich friedliche Treffen würde erst die FaschistInnen anziehen, quasi ein „Pull-Effekt“ auf Kärntnerisch. Widerlegt wird diese These nicht nur durch die Foto-Dokumentation der vergangenen Jahre sondern auch wenn man sich anschaut wer die mittlerweile rechtskräftig Verurteilten so sind: Der kroatische HDZ-Gemeinderat, der seit Jahren hierherkommt und beim „Erklingen eines Heimatlieds“ die Hand zum Hitlergruß hebt, kam nicht wegen Berichten in Vice, Standard oder ORF nach Bleiburg/Pliberk, sondern er macht das seit zehn Jahren. Bisher waren „Heimatlieder“ und „Grüße“ der Polizei halt egal...
Medienberichterstattung
Die Medien mussten diese Widersprüche, bewusst oder unbewusst, ebenso irgendwie verarbeiten. Die Krone wählte die Variante, den Einsatz der Polizei als „Aktion scharf“ zu loben. Kerstin Wassermann hielt das für die Krone so fest:
„Denn einmalig in der jüngeren Justizgeschichte Kärntens haben Staatsanwaltschaft und Landesgericht hart wie nie durchgegriffen und sich, wie angekündigt, nicht mit Anzeigen auf freiem Fuß begnügt, sondern mutmaßliche Rechtsextreme sofort hinter Gitter gesteckt!“[10]
Dieses Lob bringt natürlich das Problem mit sich, dass damit Polizeidirektorin Kohlweiß widerlegt wird, die ja meinte, 2018 schreite man im gleichen Maß wie 2017 ein. Konkret führte Kohlweiß am 9.5.2018 aus:
„Zum polizeilichen Einschreiten selbst: Geschätzte Damen und Herren, es ist selbsterklärend und selbstverständlich, dass es hier ein konsequentes Einschreiten aller eingesetzten Polizeikräfte geben wird. Das heißt für uns auch, dass wenn es Übertretungen nach dem Verbotsgesetz geben sollte (…) dann wird es zu Festnahmen kommen.“[11] Was hier von der LPD-Direktorin ganz zutreffend aus der Strafprozessordnung paraphrasiert wurde, lässt die Frage offen: Warum gab es 2017 nur Personalienfeststellung aber keine Festnahmen?
In anderen Medien legte man den Fokus auf den – vermeintlichen – Rückgang der Anzeigen: 2018 nur 7 Anzeigen, 2017 waren es 14, also eigentlich Rückgang. Oder so, dass man glauben könnte, der beherzte Einsatz der Exekutive hätte „Schlimmeres“ verhindert. So die Presse – auf Basis der APA, die wiederum lediglich Pressesprecher Dionisio angerufen haben –, demnach die Feier „ohne gröbere Zwischenfälle zu Ende gegangen“ sei und es auch „im Rahmen der Veranstaltung weder zu Ausschreitungen noch zu Gewaltdelikten“ gekommen sei, „nur eben zu den „Übertretungen nach dem Verbotsgesetz“. Ausbleibende „Zwischenfälle“ und „Ausschreitungen“ bei einer katholischen Prozession erachtet die Presse (bzw. die APA) als berichtenswerte Neuigkeiten?
Die Zahlenspiele der Kärntner Behörden wurden bisher nicht kritisiert obwohl deren tendenziöser Einsatz bereits von anderen Veranstaltungen [12] bekannt ist. Derzeit dürfte die Taktik der Polizei, der Einsatzleitung und der Sicherheitsbehörden aufgehen, durch eine Handvoll Festnahmen zu kaschieren, dass man die Ustaša-Feier über ein Jahrzehnt unkontrolliert durchführen hat lassen und die Veranstalter hofiert hat.
Fazit: Dilemma der Behörden
Egal ob drei, neun oder fünfzig Festnahmen wegen Verbotsgesetz: das Problem des nationalistischen und faschistischen Aufmarschs in Bleiburg/Pliberk geht damit nicht weg. Solange die Sicherheitsbehörde durchgehen lässt (oder tatsächlich selbst glaubt), dass dieser eine rein "kirchliche Prozession und Messe" sei, solange wird sie diese Widersprüche erklären müssen.
In den nächsten Tagen folgt unser Beitrag "Nachbetrachtung Behörden" über die seltsame Schwerpunktsetzung der Polizei während der Ustaša-Feier 2018.
Verweise:
[1] Siehe Presseaussendungen zu 2017 unter Presse (Link).
[2] Bericht von vice und News aus 2017, siehe Presse (Link).
[3] Sachverhaltsdarstellung betreffend „Zahlreiche Verstöße gegen das Verbotsgesetz durch Unbekannte am 13. Mai 2017 in Bleiburg/Pliberk“ vom 6.7.2017, siehe Sachverhaltsdarstellung (Link).
[4] (Nicht mehr online): Presseaussendungen der LPD Kärnten, unter: LPD-Presseaussendungen (Link); Übernommen von zahlreichen Medien, etwa hier: Kärnten-ORF (Link).
[5] Kleine Zeitung: Haft für Kroaten nach Hitlergruß am Loibacher Feld, siehe: Kleine Zeitung Online (Link).
[6] Pressekonferenz 9.5.2018, LPD-Direktorin Michaela Kohlweiß.
[7] (Nicht mehr online): Presseaussendungen der LPD Kärnten, unter: LPD-Presseaussendungen (Link).
[8] Beantwortung (808/AB, Link) der Anfrage (841/J, Link).
[9] Auflistung aus der Presseaussendung der LPD Kärnten, als Text übernommen von APA und Zeitungen, siehe etwa hier: Die Presse Online (Link).
[10] krone.at: Hitlerjubel: 6 in U-Haft, siehe: Krone Online (Link).
[11] Pressekonferenz 9.5.2018, LPD-Direktorin Michaela Kohlweiß.
[12] So wollte die Klagenfurter Polizei beim Identitären-Aufmarsch im Februar 2016 „keine Vorfälle“ erkannt haben obwohl Foto- und Filmaufnahmen zeigen, dass gleich mehrfach der Hitlergruß gezeigt wurde, vgl. stopptdierechten.at (Link). Und auch von den Ulrichsbergfeiern respektive den Protesten und Demonstrationen gegen das SS-Veteranentreffen sind solche Verdrehungen und Auslassungen bekannt – etwa als während der Ulrichsbergfeier 2010 ein Fotograf des Falters von Neonazis gejagt wurde und sich durch Flucht zu einer Gruppe PolizistInnen retten konnte, die Polizei im Einsatzbericht trotzdem von einer „friedlichen Feier“ „ohne besondere Vorkommnisse“, vgl. u-berg.at Presse 2010 (Link).