Die erstaunliche Karriere ehemaliger Ustaša-Funktionäre in Österreich

    Alfons Dalma als ORF-Chefredakteur während der Berichterstattung zur Nationalratswahl 1970 (CC wikimedia commons / A R Cat).

    Ehemalige Ustaša-Funktionäre flüchteten 1945 und fanden in Exilländern die Möglichkeit sich Existenzen aufzubauen ohne für ihre Verbrechen vor Gericht gestellt zu werden. Zwei Funktionäre im NDH-Staat, Alfons Dalma und René Marcic, wurden beispielsweise bereits 1945 Teil des Redaktionsteams der Salzburger Nachrichten – ein Startschuss für eine erstaunliche Karriere im postnazistischen Österreich.

    Proklamation des NDH-Staates in der Ustaša-Tageszeitung "Hrvatski Narod", 10. April 1941.

    Titelblatt der Erstausgabe des Ustaša-Blatts "Pokret" zeigt den Poglavnik umringt von Kindern (Ausgabe 1, vom 10. April 1942).

    Aus den Schreibstuben der Ustaša...

    Kürzlich erinnerte sich Teddy Podgorski im Standard eines Vorfalls, der ihm aus seiner Zeit als ORF-Redakteur in Erinnerung blieb: Als er zum Muttertag ein Interview mit der Mutter von Widerstandskämpfern gegen den NS führen wollte, sprang Alfons Dalma, damaliger Chefredakteur des ORF, auf und verlangte, dass er stattdessen ein Interview „mit der Mutter eines Stalingrad-Gefallenen“ führen soll (Link). Doch wer war Alfons Dalma, den Podgorski – wohl ironisch – als „speziellen Freund“ bezeichnet?

    Alfons Dalma, 1919 in Otočac im heutigen Kroatien geboren, hieß eigentlich Stjepan Tomičić. Als Sohn eines Universitätsprofessors und einer Lehrerin wurde er von den Dominikanern katholisch erzogen und arbeitete bereits früh für die katholischen Zeitungen Hrvatska Straža und Hrvatski Glas. Nach der Ausrufung des faschistischen Unabhängigen Staats Kroatien (Nezavisna Držva Hrvatska, kurz NDH) im Jahr 1941 begann die Karriere von Alfons Dalma aka Stjepan Tomičić. Zwischen 1941 und 1943 arbeitete er für das Hauptorgan der Ustaša – den Hrvatski Narod. Ab 1942 wurde er immerhin im Impressum als „verantwortlicher Schriftleiter“ genannt. Im selben Jahr schrieb er als verantwortlicher Redakteur auch für die faschistische Illustrierte „Pokret“ (deutsch „Bewegung“) die als „Alarm“ auch auf Deutsch erschien. 1943 beteiligte er sich – offiziell als Kriegsberichterstatter – an Aktionen gegen Partisan_innen. Bis 1944 blieb Dalma noch an exponierter Stelle in führenden regimetreuen Medien des NDH-Staats tätig, bevor er als Presseattaché nach Berlin und später nach Wien ging. Obwohl er später mehrfach behauptete im NDH-Staat „degradiert“ worden zu sein, erhielt er zwei Orden von jenem Staat, der ihn angeblich benachteiligte – einen sogar direkt von Ante Pavelić (vgl. Hausjell/Rathkolb 1989, S. 18-22). Ein Weggefährte Dalmas, René Marcic, wurde 1919 in Wien als Sohn eines kroatischen Marinemalers geboren und legte 1937 seine Matura am Franziskanergymnasium in Široki Brijeg im heutigen Bosnien-Herzegowina ab. Nach einem Studium an der Universität Zagreb promovierte er 1942 an der dortigen rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät. In weiterer Folge arbeitete er als Presse- und Kulturreferent am Generalkonsulat des faschistischen Ustaša-Regimes in Wien (vgl. Hausjell 2005).

    Bereits am Anfang der Salzburger Nachrichten veröffentlichte Alfons Dalma regelmäßig Kolumnen auf der ersten Seite, hier (rechts) am 16. Dezember 1946 über den "Sozialismus und Donauraum" (Anno/OeNB).

    …zu den Salzburger Nachrichten.

    Am Ende des Zweiten Weltkriegs fanden sich sowohl Marcic als auch Dalma in Österreich wieder. In Salzburg gab ab Oktober 1945 Max Dasch mit Erlaubnis der Alliierten eine der ersten Zeitungen nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, die Salzburger Nachrichten, heraus. Erster Chefredakteur wurde Gustav Canaval, der ab 1934 „verantwortlicher Schriftleiter“ der Heimwehr-Wochenzeitung „Sturm über Österreich“ war (vgl. Jahn 2005, 164). Neben Canaval, der eine siebenjährige KZ-Haft überlebte, gehörten dem ersten Redaktionsteam ab November 1945 Dalma und ab 1946 René Marcic an. In den Salzburger Nachrichten war die Dichte an Journalisten mit NS-Vergangenheit besonders hoch, zwischen 1945 und 1947 traf dies auf mindestens sechs der dreizehn Redaktionsmitglieder zu. So verwundert es auch nicht, dass allein im Oktober 1947 22-mal Inhalte der Salzburger Nachrichten von den US-Besatzungstruppen als Verbreitung des NS-Gedankenguts beanstandet wurden (vgl. Hausjell 2005).

    Bei den Salzburger Nachrichten legte sich Tomičić sein Pseudonym Alfons Dalma zu, unter dem er fortan auftrat. Dort wurde er bald zum Ressortleiter und später stellvertretender Chefredakteur. Nach 1945 hielt Dalma weiter engen Kontakt zu anderen, sich in Salzburg aufhältigen, ehemaligen Ustaša-Funktionären. Bereits Ende der 1940er aufkommende Vorwürfe gegen Dalma wurden von Seiten der US-Besatzung unter der Prämisse des gemeinsamen Antikommunismus nicht weiter verfolgt. In seinen Artikeln für die Salzburger Nachrichten verharmloste er die brutalen Vergeltungsmaßnahmen gegen den Partisan_innenwiderstand am Balkan als „Schläge“, schloss die „östlichen orthodoxen Völker“ aus der „abendländischen Kultur“ aus oder beschimpfte dunkelhäutige US-Soldaten in Salzburg als „Buschklepper“. Bevor Dalma 1953 zum Münchner Merkur wechselte, veröffentlichte er ab 1950 noch Mussolinis Tagebuch in den Salzburger Nachrichten. Als Reaktion auf die Kritik an der Veröffentlichung bezeichnete Dalma Mussolini als „Humanisten“ (vgl. Hausjell/Rathkolb 1989, 20-24). 1967 holte ihn der langjährige ORF-Generalintendant Gerd Bacher als Chefredakteur zum ORF (vgl. Jahn 2005, 192). Bacher und Dalma kannten sich von ihrer gemeinsamen Zeit bei den Salzburger Nachrichten. Als 1974 wieder Vorwürfe gegen Dalma auftauchten, versetzte der ORF ihn als Korrespondent nach Rom, wo er bis 1989 wirkte (vgl. Hausjell 2005).

    Auch René Marcic fiel bei den Salzburger Nachrichten einschlägig auf. In der Weihnachtsbeilage 1949 schrieb er über den Berliner Journalisten Peter de Mendelssohn: "Wer über Gott und das Gebet Spott treibt, der darf sich nicht wundern, wenn er die Abwertung seines Wesens am eigenen Leibe zu spüren bekommt und eines Tages in die Gaskammer gesteckt wird. Mendelssohn und seinesgleichen haben selber die Welt heraufbeschworen, von der sie dann verfolgt wurden." (Hausjell 2005). Als 1961 mit dem Internationalen Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften (IFZ) der Vorgänger der Universität Salzburg gegründet wurde, wurde der Dominikanerpater Franz-Martin Schmölz mit der Leitung des Instituts für politische Wissenschaften betraut. Nach der Gründung der Universität Salzburg 1962 holte Schmölz den nach dem Tod von Gustav Canaval zum Chefredakteur der Salzburger Nachrichten avancierten René Marcic als Professor auf sein Institut. Marcic und Schmölz waren zu jener Zeit im katholischen Milieu gut vernetzt. In den folgenden Jahren bauten sie das politikwissenschaftliche Institut der Universität Salzburg auf, Marcic erarbeitete sich einen Ruf als Rechtsphilosoph (Neubacher 2013, 457-459).

    Bis heute preisgekrönt im Lande Salzburg

    In Erinnerung an den 1971 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen René Marcic vergibt das Land Salzburg seit 1979 den René-Marcic-Preis für publizistische Leistungen. In die Kritik kam der Preis 1989 ausgerechnet wegen der Verleihung an Alfons Dalma, Ilse Leitenberger und Viktor Reimann. Leitenberger und Reimann, nach 1945 ebenfalls Mitarbeiter der Salzburger Nachrichten, fielen dort mehrmals durch antisemitische und geschichtsrevisionistische Texte auf (vgl. Kerschbaumer 1989, 2-12). Reimanns spätere Texte „Die Juden in Österreich“ sicherten sich bis heute einen Platz in der Antisemitismusforschung. Kritik an Benennung und Preisträger_innen blieb bis heute wirkungslos: 1989 wurde die Umbenennung von ÖVP und FPÖ abgelehnt, ein 2007 von der damaligen Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) eingeholtes Gutachten bescheinigt Marcic eine weiße Weste (vgl. Salzburger Landeskorrespondenz 30.8.2007).

    Marcic und Dalma prägten gemeinsam mit einer Reihe an Altnazis in ihren Funktionen eine ganze Generation an Journalisten. So verwundert es auch nicht, wie lange in Österreich die Aufarbeitung des Nationalsozialismus auf sich warten ließ. Noch im APA-Nachruf auf Alfons Dalma nach dessen Tod im Jahr 1999 kommt seine Vergangenheit vor 1945 nur kurz vor, ganz im Gegensatz zu den zahlreichen Preisen die er nach 1945 erhielt. In den meisten Abdrucken der APA-Meldung fehlte die Zeit vor 1945 vollständig (vgl. Wassermann 1999).

    Literatur

    Hausjell, Fritz und Rathkolb, Oliver. „Was unsere Zeit vor allem braucht, ist Geist der Versöhnung, der Volksgemeinschaft“. Ein Beitrag zur Biographie des Journalisten Alfons Dalma. In: Medien und Zeit, Jahrgang 4, Nr. 1/89.

    Hausjell, Fritz, Braune Federn. Zum Ende des Gedenkjahres: Wie Nazi-Journalisten nach dem Krieg in Österreich erstaunliche Karrieren machen konnten. In: Die Zeit, Nr. 50/2005.

    Jahn, Bruno. Die deutschsprachige Presse: Ein biographisch-bibliographisches Handbuch. De Gruyter Saur, Berlin-Boston 2005.

    Kerschbaumer, Gert. Die weiße Weste. Zum Rene-Marčić-Preis des 1988/1989 des Landes Salzburg. In: Medien und Zeit, Jahrgang 4, Nr. 1/89.

    Neubacher, Tobias. Die Anfänge der Politikwissenschaft in Salzburg: René Marcic (1919–1971), Franz Martin Schmölz (1927–2003) und das Senatsinstitut für Politikwissenschaft. In: Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (Hrsg.). Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert. Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen. Facultas, Wien 2013

    Wassermann, Heinz, Nachgespuckt? Einige Anmerkungen zur medialen Erinnerungskultur. In: Informationen der GFPA Nr. 63, Dezember 1999.

    Salzburger Landeskorrespondenz, Marcic: "Keine Sympathie mit nationalsozialistischem Regime" Zwischenbericht einer Untersuchung – 2008 kein Preisträger vorgeschlagen. 30.8.2007, online unter: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20070830_OTS0210/marcic-keine-sympathie-mit-nationalsozialistischem-regime